Versteckte Botschaften
von Jan Hunt

Neugeborenes
 
Was wir sagen:  "Du kannst soviel weinen wie Du möchtest, ich werde Dich nicht wieder auf den Arm nehmen!"
Was wir denken: "Es bricht mir das Herz, aber all diese Experten können sich nicht irren."
Was das Kind denkt: "Sie lieben mich nicht. Mein Leid kümmert sie nicht. Mami ist perfekt, also muss irgendetwas mit mir nicht stimmen. Ich bin der Liebe anderer nicht würdig." 
Was wir 20 Jahre später sagen:  "Was um alles in der Welt findest Du an Tom? Wie kannst Du nur zulassen, dass er Dich so behandelt? Weißt Du nicht, dass Du Besseres verdienst?"

Baby
 
Was wir sagen: "Das mit dem Stillen ist vorbei – Du bist jetzt zu groß dafür!"
Was wir denken: "Ich würde ja gerne weiter stillen, aber ich kann die Kritik von meinen Verwandten nicht ertragen."
Was das Kind denkt: "Ich habe das Wichtigste in meinem Leben verloren: die langen Kuschelzeiten und die Nahrung, die sich am besten anfühlte in mir. Ich muss etwas ganz Schreckliches getan haben. Ich muss eine furchtbare Person sein." 
Was wir 20 Jahre später sagen:  "Warum trinkst Du so viel?"

2 Jahre
 
Was wir sagen: "Du kannst nicht mehr zu uns ins Bett kommen. Du wirst Dich nicht alleine fühlen. Schau, hier ist ein netter großer Teddy, der Dir Gesellschaft leistet!"
Was wir denken:  "Großmutter findet es falsch, wenn Du in unserem Schlafzimmer schläfst. Ich weiß nicht genau warum, aber es ist uns wichtiger, sie zufrieden zu stellen als Dich. Außerdem sollte der Teddy Dich glücklich machen."
Was das Kind denkt: "Das ist nicht fair! Sie dürfen mit einer echten Person kuscheln. Sie kennen mich nicht sehr gut. Sie interessieren sich nicht für meine Gefühle Na ja, wenigstens haben sie mir ja diesen Teddy gegeben."
Was wir 20 Jahre später sagen:     "Ich weiß, dass Du unglücklich bist, weil Tom sich von Dir getrennt hat, aber ist das wirklich ein Grund, Deine Kreditkarte dermaßen zu überziehen? Hilft Dir all dieses Zeug damit, Dich besser zu fühlen, wenn Dich jemand verlassen hat? Seit wann bist Du so materialistisch?" 

4 Jahre
 
Was wir sagen:  "Du weißt, dass Du Deinen Bruder nicht schlagen sollst! Ich verabreiche Dir gleich eine Tracht Prügel, die Du nie vergessen wirst!"
Was wir denken: "Es muss einen besseren Weg geben, dies zu handhaben, aber so hat es auch mein Vater getan, also muss es richtig sein."
Was das Kind denkt: "Ich habe mich so über meinen Bruder geärgert, dass ich ihn geschlagen habe. Und jetzt ärgert sich Papa so über mich, dass er mich schlägt. Ich vermute, Erwachsene dürfen schlagen, aber Kinder nicht. Und was soll ich wohl machen, wenn ich mich ärgere? Ach, eines Tages werde ich selbst erwachsen sein."
Was wir 20 Jahre später sagen:      "Eine Kneipenschlägerei? Erwachsene schlagen nicht drauf los, nur weil sie verärgert sind. Ich habe Dich nie gelehrt, Gewalt anzuwenden!"

6 Jahre
 
Was wir sagen: "Nun, dies ist ein großer Tag für Dich. Hab keine Angst, tu einfach alles, was Dein Lehrer sagt."
Was wir denken: "Bitte blamier mich nicht, indem Du in der Schule Ärger machst!"
Was das Kind denkt: "Aber ich habe Angst! Ich bin noch nicht bereit, jeden Tag so viele Stunden ohne sie zu verbringen! Sie müssen meiner langsam überdrüssig sein. Vielleicht mögen sie mich mehr, wenn ich tue, was der Lehrer sagt, und dann darf ich zu Hause bleiben."
Was wir 20 Jahre später sagen:    "Was?! Deine Freunde haben Dich überredet, Drogen zu nehmen? Tust Du immer, was andere Dir sagen? Hast Du keine eigene Meinung?"

8 Jahre
 
Was wir sagen: "Deine Lehrerin sagt, Du passt im Unterricht nicht auf. Wie wirst Du je etwas Wichtiges lernen?"
Was wir denken: "Wenn aus meinem Kind nichts wird, werde ich mich wie ein Versager fühlen."
Was das Kind denkt: "Mich interessieren die Dinge nicht, die die Lehrerin erzählt, aber wahrscheinlich weiß sie es besser. Die Dinge, die mich interessieren, müssen unwichtig sein."
Was wir 20 Jahre später sagen: "Du bist 28 Jahre alt und weißt noch immer nicht, was Du aus Deinem Leben machen willst? Interessierst Du Dich denn für gar nichts?"

 10 Jahre
 
Was wir sagen: "Du hast schon wieder einen Teller kaputt gemacht? Ach, lass es, ich spüle  selber."
Was wir denken: "Ich weiß, dass ich mehr Geduld haben sollte mit Dir, aber so bekomme ich wenigstens den Abwasch erledigt."
Was das Kind denkt: "Mann, bin ich tollpatschig. Ich versuche besser erst gar nicht zu helfen."
Was wir 20 Jahre später sagen: "Du willst diesen Job, aber Du bewirbst Dich erst gar nicht auf die Stelle? Du solltest mehr Selbstvertrauen haben!"                       

12 Jahre
 
Was wir sagen: "Geh raus und spiel mit Deinen Freunden – Du wirst mehr Spaß mit ihnen haben als wenn Du den ganzen Tag hier herumhängst."
Was wir denken: "Ich weiß, dass ich mehr Zeit mit Dir verbringen sollte, aber ich habe so viel zu tun. Es ist gut, dass hier so viele Kinder wohnen."
Was das Kind denkt: "Ich würde gerne meine Zeit mit Mami und Papa verbringen, aber sie sind immer so beschäftigt. Wahrscheinlich mögen meine Freunde mich lieber." 
Was wir 20 Jahre später sagen: "Du rufst uns nie mehr an und kommst uns nicht besuchen. Sind Dir unsere Gefühle egal?"

14 Jahre
 
Was wir sagen: "Bitte verlasse den Raum, Liebling. Dein Vater und ich haben ein paar persönliche Dinge zu besprechen."
Was wir denken: "Wir haben einige Geheimnisse, über die Du lieber nichts wissen solltest."
Was das Kind denkt: "Ich gehöre nicht wirklich zu dieser Familie."
Was wir 20 Jahre später sagen: "Du bist im Gefängnis?! Warum hast Du uns nicht gesagt, dass Du Probleme hast? Weißt Du nicht, dass man in der Familie keine Geheimnisse voreinander hat? Wir haben uns solche Mühe gegeben. An welcher Stelle haben wir etwas falsch gemacht?"

© Copyright Jan Hunt
 

Aus dem Amerikanischen übertragen von S. Mohsennia
Original: www.naturalchild.org/jan_hunt/hidden.html